HARTWARE MEDIENKUNSTVEREIN | Nadja Buttendorf: „rosie“
rosie von Nadja Buttendorf
rosie bezieht sich auf einen fiktiven Zusammenschluss des DDR-Kombinats Robotron mit dem Tech-Giganten Siemens: die RO-SIE GmbH. Einen solchen Zusammenschluss hat es zwar nie gegeben. Die Künstlerin greift jedoch den von Robotron-Mitarbeitenden 1990 vorgeschlagenen Namen auf, um über eine Zukunft zu spekulieren, in der technologische Innovation nicht unter dem Primat von Kontrolle und Profit steht, sondern ein utopisches Potenzial entfalten kann.
Die Vorgeschichte: Robotron – a tech opera (2018-2019)
Robotron – a tech opera (2018-19) von Nadja Buttendorf (*1984 in Dresden/DDR, lebt in Berlin/DE) ist die erste Seifenoper, die in der Computerindustrie der DDR spielt und sich mit der Computerentwicklung in einer Planwirtschaft und dem Alltag in Ostdeutschland beschäftigt. Der VEB Kombinat Robotron war der größte Computerhersteller der ehemaligen DDR und einer der bedeutendsten Produzenten von Informationstechnologie im sozialistischen Osteuropa.
 
Anhand der eigenen Familiengeschichte zeichnet Nadja Buttendorf eine Technikgeschichte nach, die heute niemanden mehr interessiert, weil sie nicht der Logik einer Erfolgsgeschichte folgt und es sich bereits um obsolete Technik handelt. Mit emotionalen Wirrungen angereichert wird Technikgeschichte auf- und herausgearbeitet, um einem erfolgreichen US-amerikanischen Narrativ eine diversere und komplexere Geschichte hinzuzufügen.
 
Robotron – a tech opera ist angesiedelt im VEB Robotron-Elektronik Dresden, dem Stammbetrieb des VEB Kombinat Robotron, und spielt in den Jahren von 1976 – 1990. Staffel 01 und Staffel 02 spielen von 1976 bis 1983. In den insgesamt fünf Staffeln wird anhand eines autobiografisch inspirierten Beziehungsdramas ostdeutsche Technikgeschichte erzählt, bis der VEB Robotron 1990 durch die Treuhand liquidiert wird. Die DDR-futuristischen Alltagsabenteuer der Protagonistinnen und Kolleginnen H, M und X spielen in der Robotron Kantine oder am Arbeitsplatz, dem Rechenzentrum des VEB Robotron.
 
Dabei geht es Nadja Buttendorf nicht darum, ihre eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten, sondern diese als exemplarisches Ausgangsmaterial zu benutzen, um eine Fiktion zu generieren. In der komplett DIY produzierten Sci-Fi SelfieWeb Serie übernimmt die Künstlerin in Personalunion Regie, Kamera, Drehbuch, Maske, Kostüm, Sounddesign, Lichttechnik sowie alle schauspielerischen Rollen. Inspiriert von den Videos von Nasime Aghdam, bekannt als Youtube Shooter, oszilliert Robotron zwischen Star Trek, Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Snapchat-Ästhetik.
 
 
Mit rosie und Nadja Buttendorf in die Zukunft
 
rosie, das neue Projekt von Nadja Buttendorf, bezieht sich auf einen fiktiven Zusammenschluss des DDR-Kombinats Robotron mit dem Tech-Giganten Siemens: die RO-SIE GmbH.
 
Einen solchen Zusammenschluss hat es nie gegeben. Doch im Februar 1990, als die Mauer bereits offen war und die Wiedervereinigung noch bevorstand, schlugen Mitarbeitende des VEB Kombinat Robotron in der Betriebszeitung von Robotron diesen Namen vor. Damals herrschte noch die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung auf Augenhöhe. Doch diese wenigen Monate der Zuversicht verflogen schnell. Statt rosiger Zeiten folgte die Realität der wirtschaftlichen Übernahme: Siemens kaufte lediglich Teile von Robotron, war jedoch nie an einer echten Zusammenarbeit interessiert. 1990 wurde der Großteil von Robotron liquidiert und abgewickelt.
 
rosie will diesen utopischen Moment bewahren und weitertragen. Gerade in einer Zeit, in der Technologie immer häufiger als Mittel autokratischer Systeme zur Überwachung und Unterdrückung eingesetzt wird, stellt sich die Frage: Gibt es noch utopische Momente in der Technologie?
 
Ein Blick auf die frühe Nachwendezeit zeigt, wie stark wirtschaftliche Interessen das Schicksal ostdeutscher Unternehmen bestimmten. Peter Adenauer, ein Neffe von Konrad Adenauer, war in den frühen 1990er Jahren als Unternehmer in Ostdeutschland aktiv. 1992 plante er die Übernahme des Softwarebereichs von Robotron-Projekt Dresden (RPD), um den Vertrieb der IBM-ES-9000-Großrechner zu forcieren. Doch diese Pläne scheiterten.
 
Kurt Biedenkopf, bis 1987 Vorsitzender des CDU-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, ließ sich 1990 in der DDR einbürgern, um als CDU-Spitzenpolitiker in Sachsen antreten zu können. Von 1990 bis 2002 war er Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Während einige Menschen von West- nach Ostdeutschland gingen, verließen viele Ostdeutsche nach der Wende ihre Heimat, weil sie keine Perspektiven mehr sahen.
 
Diese Entwicklungen betrafen auch Einzelpersonen auf tief persönlicher Ebene. Renée Hartmann, Nadja Buttendorfs Großmutter, schrieb in ihrem Leben zahlreiche Briefe an Kurt Biedenkopf, in der Hoffnung, ihren verstorbenen Mann, den Physiker Werner Hartmann, posthum rehabilitieren zu lassen. Werner Hartmann (1912–1988) gilt als Begründer der Mikroelektronik in der DDR und leitete von 1961 bis 1974 die Arbeitsstelle für Molekularelektronik (AMD) in Dresden.
 
Aufgrund seiner Parteilosigkeit wurde er ab 1965 systematisch von der Stasi überwacht. 1974 suspendierte man ihn unter dem konstruierten Verdacht der Spionage und angeblicher Verbindungen zum amerikanischen Geheimdienst. Was folgte, war ein langwieriger Prozess der Zersetzung: Über 50 Stasi-Akten dokumentierten die lückenlose Überwachung seines Lebens. Der Verdacht der Spionage und „Schädlingstätigkeit“ ließ sich nie bestätigen. Erst nach 1990 wurden seine wissenschaftlichen Verdienste offiziell anerkannt.
 
rosie greift diese Fragmente der Vergangenheit auf, um eine Gegenwart und Zukunft zu entwerfen, in der technologische Innovation nicht unter dem Primat von Kontrolle und Profit steht, sondern utopisches Potenzial entfalten kann.
 

			
			

			

			

