Essay von Fabian Raith zu den MedienKunstTagen NRW 2025
Usually everyone wants it, they just dont want the extra work
Im späten achtzehnten Jahrhundert wandelte sich die amerikanische Stadt Worchester Country zum größten Drahthersteller der USA. Das gelang, in dem der Besitzer seinen Angestellten Alkoholkonsum während der Arbeit verbot. Die Fabrik wuchs von 30 auf 700 Angestellte, wirtschaftlich lief es hervorragend. Nur die Arbeitsfreude der Angestellte ging direkt proportional zum Alkohol in der Fabrik zurück und so erkämpften sie sich den 10 Stunden Tag. Es entstand eine stärkere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit und die Lücke im Tagesablauf wurde von Saloons gefüllt, also Orten, die spezifisch dazu da waren, Alkohol zu trinken und Spaß zu haben. Durch Schwingtüren werden sie betreten und drinnen wartet alles, was Spaß und Ablenkung von der Arbeit verspricht. Die Idee des Fabrikbesitzers änderte also nicht nur die Zukunft seiner Fabrik, sondern die komplette Stadt und das Verhältnis von Arbeit und Freizeit.
Die Schwingtür der Medienkunst schwingt zwischen Gegenwart und Zukunft- so heißt zumindest auf dem Livepodcast zur Eröffnung der Medienkunsttage NRW 2025.
Auf der einen Seite der Schwingtür gibt es spekulative Ideen für alternative Zukünfte, Zukunft als Möglichkeitsraum und Gestaltungsmöglichkeiten. Oder mit dem Motto der Medienkunsttage gesprochen: More Future. Eine Lust am Herumdenken, Technologien zu entfremden und eine Idee von einem Morgen zu entwerfen, das mehr verspricht als das heute.
Insbesondere die Arbeiten der Medienkunstfellows sind von diesen Spekulationen über Zukünfte geprägt: Paula Maya Strunden erzählt von neuen Natur-Technologie Verhältnissen durch 3D Assets, Claude Jansen erzählt von digitalen und spirituellen Medien und Manuel Talarico nutzt Deep Fake Technologien, um über neue Identitäten zu spekulieren.
Wie fluide diese Identitäten werden, wie Körper und digitale Repräsentation von Körpern sich verschränken und wie sehr diese den Körper buchstäblich hin und her werfen können, wird auch in der Performance Post Corpus Shapeshifter des Performancekollektivs rendered realities – gezeigt auf der UZWEI des Dortmunder U im Rahmen der Ausstellung Solarpunk deutlich: Ein physischer Körper kämpft mit einem zunehmend raumnehmenden, digitalen Körper um Platz, Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Der digitale Avatar und der physisch präsente Körper treten immer mehr in einen Dialog und verändern ihre Form und Ausdrucksweise. Natur und Technologie treten auf neue Weise miteinander in Dialog.
Doch während rendered realities eine Konkurrenz erzählt, entsteht in den Videoarbeiten Ponor von Jana Kerima Stolze und Lex Rütten und Flint House Lizard von Ani Schulze eine neue, andere Welterzählung. Diese löst den menschlichen Blick ab und richtet den Fokus auf die natürliche Umgebung, das Zusammenspiel von Natur und Technologien und schafft so eine post-anthropozentrischen Technologieerzählung. Sie denken so durch die Gegenwart hindurch die Frage, ob es in der Natur Vorbilder für nötige Anpassung in der Klimakrise gibt und wie diese Hoffnung in die Gegenwart transportieren können.
Die Schwingtür ist jedoch nicht nur Übersetzerin zwischen Gegenwart und Zukunft, sie transformiert auch historische Momente in alternative Zukünfte.
Nadja Buttendorfs Projekt RoSie kehrt zurück an den Zeitpunkt vor der Abwicklung des wichtigsten Computerherstellers der DDR, Robotron, und imaginiert von einer gleichberechtigten Vereinigung von Robotron mit dem wichtigsten Computerherstellers Westdeutschlands, Siemens. Was wäre, wenn statt des Zerschlagungsansatz der Treuhand die Wünsche und Vorstellungen der Beschäftigten des Betriebs umgesetzt worden wären? Wie sähe die Gegenwart aus, wenn die Treuhand, statt funktionierende Industrie in Ostdeutschland abzuwickeln, andere Entscheidungen getroffen hätte?
Auch das Szenario und die Umgebung, in denen die MedienKunstTage stattfinden, erzählt von dieser alternativen Weltsicht. Die Ausstellung Genossin Sonne des HMKV stellt die Sonne als Verbündete für alternative Zukunftsentwürfe, die sich aus der Vergangenheit speisen, vor. Exemplarisch dafür steht die wissenschaftlich-spekulative Arbeit, vor der die Panels und Gespräche der MedienKunstTage stattfinden. Basierend auf einem Text von Mikhail Gorbanev werden die Zeitpunkte von politischen Umstürzen und Revolutionen mit Sonnenaktivitäten verglichen und gezeigt, dass viele relevante Gesellschaftsumstürze in der Zeit stattfinden, in der sich auch besonders viel Sonnenaktivität ereignet. Diese Art von spekulativem Denken, vom Erhoffen alternativer Zukünfte und der Imagination einer sich von der Gegenwart unterscheidenden Zukunft zeigt sich auch in den Minifestos, welche im Workshop von Nishant Shah und Sara Morais dos Santos Bruss in der Akademie für Theater und Digitalität entstehen. Die Teilnehmer:innen werden hier zu einem Small Language Model und kehren so die Logik hinter künstlicher Intelligenz um: Statt der Erzählung zu folgen, KI könne dem Menschen immer näherkommen, werden die Teilnehmer:innen zu KI-Modellen, zu small language models. Diese small language models arbeiten nicht nach der Idee von Wahrscheinlichkeiten, sondern schöpfen aus den Wissensbeständen der Teilnehmenden.
Während des Workshops wird deutlich: Die Zukunft soll immer schon in der Gegenwart performen. Es ergibt sich ein Zukunftsparadox: In der Zukunft ist so lange alles möglich, bis etwas beweist, dass es doch nicht so ist. Doch sind diese Zukunftsvorstellungen auch ein Fenster in die Gegenwart. Zukunftsmodelle unterliegen nach wie vor Interpretationen, der Output, den wir in Prompts und Befragungen bekommen, sind Deutungen, keine Konsequenzen. Während des Workshops entstehen kleine Möglichkeiten der Hoffnung in jedem der Minifestos, oder wie dos Santos Bruss es nennt: Viele kleine Beginne.
Diese vielen kleinen Beginne lassen sich auch in den Panels zu den Commons von heute entdecken: Nachhaltige Hardware, Institutionen und Software, die sich als Alternative zu kommerziellen Anbietern etablieren könnten. Wer stellt die Software und Hardware die in öffentlichen Institutionen und privaten Endgeräten genutzt werden, eigentlich her, warum wird öffentliches Geld in kommerzielle Softwarelizenzen gesteckt und wie kann digitale Agency nicht nur als interessantes intellektuelles Konzept verhandelt, sondern auch praktisch umgesetzt werden?
Diese Ideen sind jedoch auch eine Schwingtür in die Gegenwart, in der es schwer fällt, Konternarrative gegen „20 Jahre Metapolitik“ zu setzen, wie Laura Hille es im Panel Unerreichbare Gegenwarten, unvermeidliche Enden formulierte. Das Panel zeigt insbesondere, wie Macht, Geld und Ideologie in Zirkeln von Tech Bros gerade zusammenkommen und holt das draußen, die Welt, die vor den Schwingtüren zwischen Gegenwart und Zukunft, wartet, wieder rein: Die harte Arbeitswelt, in der Arbeitszeitverkürzung erkämpft werden muss, in der Organisationsgrad von Arbeitenden in Gewerkschaften sinkt und ideologische Deregulierung auf Kosten gemeinschaftlicher Konzepte durchgesetzt wird oder werden soll. In dieser Welt scheint es gerade keine offenen, vieldeutigen Zukunftserzählungen mehr zu geben. Stattdessen wird Zukunft bereits in der Gegenwart erzählt und scheint, anders als es in den vorherigen Workshops passierte, unabwandelbar. Die Zukunft wird fatal und der einzige Ausweg ist mehr Technologie und weniger Rumreguliererei. Man wird Zuschauer*in, wie um einen herum Zukunft gebaut wird. In diesen Momenten wünscht man sich Dietmar Daths Maschine aus seinem Buch Skyrmionen oder: A Fucking Army herbei, die das Computerzeitalter beendet. Auch das wird im von Vanina Sarracion kuratierten Filmprogramm deutlich: Die Filme wandeln zwischen Dystopien und Utopien, zwischen Nostalgie und Untergangsstimmung, zwischen teils KI-generierten Filmen und realen Dokumentationen. Elisabeth Bruns Film Big Tech Blues ist ein Beispiel für die Vielschichtigkeit im Umgang mit technologischen Zukünften und zeigt die Komplexität der digitalen Gegenwart: Ein kleines Dorf in ihrer Heimat Norwegen wehrt sich erfolgreich gegen die Umnutzung ihrer ehemaligen Dorfschule in eine Bodenstation für Space X Satelliten. Einerseits ist der Film ein Manifest der Wehrhaftigkeit von Gemeinschaften gegen globale Konzerne, die keine Verantwortung für die realen Auswirkungen ihrer Technologien vor Ort übernehmen wollen. Der Film macht deutlich, dass Widerstand sich lohnt. Andererseits stellt er auch die Frage, was passiert eigentlich, wenn Not in my backyard-Politiken auch mögliche positive Veränderungen durch Technologie in Frage stellt?
Der Film ist möglicherweise das, was Isabelle Hermann als Anti-Dystopien beschreiben würde: Keine ganz weit entfernte Zukunft, abseits der Realität, sondern das Aufzeigen von Wegen zu realistischen Alternativen. Hermann erklärt das Konzept anhand von SciFi Literatur: Statt eine utopische, der jetzigen völlig enthobenen Welt zu designen, kann SciFi auch Wege aufzeichnen, in der Menschen selbst für ihre Zukunft verantwortlich sind, Agency haben und ihre Umwelt beeinflussen können. Anti-Dystopie kann Mut zum Mitmachen machen. Vor allem macht sie deutlich, dass die Versprechungen, die mit Gadgets von Tech Giganten gerade gebaut oder versprochen werden, weniger innovativ sind, als sie uns glauben machen möchten. Die Erfindungen und Neuerungen sind nicht nur inspiriert von SciFi, sondern teils einfach Kopien davon. Dieser Entwicklung wird mit großer Begeisterung zugeschaut, doch versprechen diese Innovationen keine Lösungen, neue Denkweisen oder Weiterentwicklungen zu sozialen Problemen und des Zusammenlebens, sondern vor allem Gadgets. Die Lösung sozialer Probleme bleibt Aufgabe der Welt draußen, auf der anderen Seite der Schwingtür.
Ein Teil davon ist die Arbeit, die Laurence Rassel an der Ecole de recherche graphique (ERG) gemacht hat. Unter ihrer Leitung und mit viel Überzeugungsarbeit wurde die ERG zu einer Institution des Kollektivs umgebaut. Gemeinschaft als Leitprinzip, Open Source und kollektives Lernen als Prinzipien. Viele Veränderungen im Kleinen, die nicht den großen Ruhm versprechen, aber Wirksamkeit vor Ort entfalten. Leider macht auch das ganz schön viel Arbeit, auf beiden Seiten der Schwingtüren.
Sie bildet damit etwas ab, was auch die Medienkunsttage insgesamt geprägt hat: Die Frage nach Möglichkeiten Technologie wieder mit Hoffnung zu verbinden, nach einer Erzählung von Technologie, die nicht vereinzelt, sondern verbindet und in der Technologie nicht in Versprechungen auf ein Übermorgen, sondern im Jetzt Dinge verbessert. Eine große Antwort darauf geben sie nicht, aber viele kleine. Das Bilden von kleinen Communities, das Handeln im Lokalen und das Bauen eigener, kleiner Technologien, die Dinge positiv verändern können. Dafür gibt es wenig öffentliche Aufmerksamkeit und wenig Schulterklopfer, aber dafür mehr Zukunft.
Fabian Raiths eigene Mixed Reality begann 1987 in Regensburg, Bayern. Zum Studium ging es in den Osten (Erfurt), Frankfurt (Ost) und noch Weiter Ost (Istanbul). Nach geschriebener Masterarbeit (Migrationsdiskurse im deutschen Pop) bis 2020 Studium des (damals noch neuen) Masters Spiel und Objekt an der HfS Ernst Busch. Dort im Bereich Mixed Reality (Augmented Reality) und dem Herstellen (individuell zugänglicher)dramatischer Situationen interessiert. Abschluss mit einem (Mixed Reality) Walk zu (ost)deutscher Erinnerungskultur. Schwerpunkte sind Installationen (begehbar), ortsspezifische Arbeiten und Konstellationen, die menschliche und nicht menschliche Akteure in Austausch bringen.






