Interview mit Georg Elben zur Lage des Skulpturenmuseums Marl

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Interview mit Georg Elben zur Lage des Skulpturenmuseums Marl

Stimmen & OrteInterview

Trotz des Appells zahlreicher Verbände und von Kunst- und Kulturschaffenden ist das Fortbestehen des Skulpturenmuseums Marl ungewiss. Das im Jahr 1982 gegründete Museum, das seit dem Auszug aus dem Marler Rathaus im April 2022 temporär in einem Nebengebäude der Martin-Luther-King-Schule in Marl-Hüls untergebracht ist, benötigt langfristig eine museale Infrastruktur, um den Erhalt der umfassenden Sammlung mit den Schwerpunkten klassische Moderne, zeitgenössische Kunst und Medienkunst und ihre öffentliche Präsentation zu gewährleisten.

Das Skulpturenmuseum ist wesentlicher Bestandteil der Geschichte der Medienkunst in NRW und Europa und hat sich bereits in den 1980er Jahren mit der Förderung und Vermittlung der Klangkunst einen internationalen Namen gemacht. Der frühere Deutsche Klangkunstpreis und sein Nachfolger, der European Soundart Award, haben das Skulpturenmuseum und die Stadt Marl weit über die Grenzen NRWs hinaus bekannt gemacht. Von Beginn an ist das Skulpturenmuseum aktiver Partner im medienwerk.nrw.

Fabian Saavedra-Lara (Leitung Büro medienwerk.nrw) hat Museumsdirektor Georg Elben zum Gespräch getroffen, um mehr über die aktuelle Lage zu erfahren.

Fabian Saavedra-Lara (FSL): Georg, vielen Dank für die Gastfreundschaft. Schön, dass wir hier sein dürfen.

Georg Elben (GE): Schön, dass ihr gekommen seid. Willkommen!

FSL: In welcher Situation befindet sich das Skulpturenmuseum Marl gerade?

GE: Da möchte ich ein bisschen ausholen und die Genese deutlich machen. Auf der einen Seite mussten wir vor rund einem Jahr aus dem Marler Rathaus, also aus dem Glaskasten, ausziehen. Als die Renovierung des Rathauses beschlossen war, hat man von Seiten des Landes gesagt, um die zu erwartenden hohen Kosten aufzufangen, die sich jetzt schon mehr als verdoppelt hatten: „Wir unterstützen die Stadt Marl dabei mit einem zweistelligen Millionenbetrag, wenn sie im Rathaus so etwas wie ein Bürgerschaftszentrum einrichtet.“ Man hat dann lange gesucht und eigentlich nur einen Platz gefunden, nämlich den ebenerdigen Glaskasten und das dazugehörende Untergeschoss.

Das Projekt Marschall 66 wird in einer ehemaligen Schule an der Kampstraße entstehen, das nach dem Architekten Günther Marschall und dem Jahr der Fertigstellung benannt ist. Die Schule befindet sich etwa 500 Meter vom Rathaus entfernt und hat eine Struktur, die aus meiner Sicht sehr geeignet ist, um dort das Profil des Skulpturenmuseums mit Skulptur, Videokunst und Klangkunst nicht nur zu zeigen, sondern auch weiterzuentwickeln. Wir sind im vergangenen Frühjahr aus dem Museum im Rathaus ausgezogen und haben die gesamte Sammlung nach Münster in ein Depot des LWL gebracht. Zuvor wurden die Kunstwerke teilweise schon gereinigt und restauriert, also schon vorbereitet für den Wiedereinzug in einigen Jahren. Und um in dieser Übergangszeit vor allem innerhalb der Stadt weiter präsent zu bleiben, ist es gelungen, diesen Übergangsort hier an der Georg-Herwegh-Straße auf dem Schulhof der Martin-Luther-King-Schule einzurichten. Es gibt hier insgesamt fünf Klassenräume, von denen wir drei für Ausstellungen nutzen können. Als Übergangsstandort ist das Gebäude sehr gut geeignet, weil die Räume schönes Tageslicht haben und mit jeweils rund 65 Quadratmetern Größe und einer ziemlich guten Deckenhöhe gute Dimensionen haben. Wir werden hier in den nächsten Jahren Ausstellungen machen, aber wir werden hier keine Sammlung zeigen können. Einmal programmatisch, um zu unterstreichen, dass wir hier kein Museum sind. Der andere Grund ist schlicht der für das Zeigen von wirklich wertvollen Kunstwerken nicht ausreichende Einbruchschutz, da würde die Versicherung nicht mitmachen. Wenn man so möchte, sind wir hier eine Art Off-Raum, wo man ganz gut Kunst zeigen kann und zwei, drei Jahre überstehen wird.

»Wenn man so möchte, sind wir hier eine Art Off-Raum, wo man ganz gut Kunst zeigen kann und zwei, drei Jahre überstehen wird.«

FSL: Nun ist es ja so, dass es ein gravierendes Problem gibt: Aufgrund eines Ratsbeschlusses ist die Übernahme von Mehrkosten verweigert worden, die das Projekt, das du gerade beschrieben hast, Marschall 66, mit sich gebracht hat. Wie ist es zu dieser Kostensteigerung gekommen und wie waren die Reaktionen seitens der Politik?

GE: Das Projekt Marschall 66 ist als ein dritter Ort geplant. Dort sollen neben dem Skulpturenmuseum auch die Räume der Bibliothek untergebracht werden, ein Maker-Space für museumspädagogische Angebote, die auch von der Volkshochschule genutzt werden sollen, und ein Veranstaltungsraum für Eröffnungen, Vorträge und kleine Matineen der Musikschule. Die Durchführung dieser Pläne ist vom Rat im Mai 2020 mit 18 zu 2 Stimmen mit einem Budget von 15 Millionen Euro beschlossen worden. Diese Summe setzt sich zusammen aus der Finanzierung von 5,5 Millionen Euro aus Städtebaumitteln des Landes NRW, 5,4 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Nationaler Projekte des Städtebaus“ und rund 5 Millionen Euro von der Stadt Marl. Diese Kostenrechnung, die dem Ratsbeschluss 2020 zugrunde lag, wurde im zurückliegenden Oktober durch das Büro Feja + Kemper Architekten aus Recklinghausen bis Ende 2023 weitergeführt – bis zu dem Zeitpunkt, von dem man damals annehmen konnte, dass alle Ausschreibungen vergeben sein würden. Und für diesen Zeitraum von mehreren Jahren ist eine Kostensteigerung von rund 7 Millionen Euro errechnet worden. Die Summe ist nicht nur geschätzt worden, sondern ist durch erfolgte Ausschreibungen und mit Statistiken des Bundesamtes für jedes Gewerk einzeln berechnet worden. Es sind keine zusätzlichen Themen oder zusätzlichen Wünsche dazugekommen. Keine dieser berühmten „goldenen Wasserhähne“, sondern es geht um Kosten, die sich aus einer allgemeinen Baukostensteigerung ergeben.

»Es sind keine zusätzlichen Themen oder zusätzlichen Wünsche dazugekommen. Keine dieser berühmten „goldenen Wasserhähne“, sondern es geht um Kosten, die sich aus einer allgemeinen Baukostensteigerung ergeben.«


FSL: Das hat wahrscheinlich mit der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zu tun, oder?

GE: Genau.

FSL: Bekommt das Museum Unterstützung seitens der Stadt?

GE: Ja. Der Bürgermeister setzt sich sehr ein. Die Verwaltung insgesamt steht hinter dem Projekt und tut alles, um es zu ermöglichen. Es ist im Dezember zweimal im Rat der Stadt Marl abgelehnt worden, aber um Marschall 66 doch noch zu realisieren, braucht es einen positiven Ratsentscheid für die 7 Mio Euro. Wir versuchen im Moment – „wir“ heißt alle, die in der Stadt irgendwie damit beschäftigt sind – in irgendeiner Weise, weitere Geldgeber zu finden. Das kann eine private Stiftung sein, das könnte aber eben auch eine Aufstockung der Fördersumme sein. Da gibt es im Moment noch keine belastbaren Ergebnisse. Die politischen Parteien, auch jene, die dagegen gestimmt haben, haben gesagt, dass sie nicht gegen das Projekt an sich sind, also nicht gegen das Museum oder die Bibliothek stimmen würden. Sie haben nur festgehalten, dass sie die Summe von 15 Millionen Euro nicht aufstocken möchten. Ohne diese Aufstockung lässt sich Marschall 66 allerdings nicht umsetzen, und eine Reduzierung des Bauvorhabens ist nicht möglich, da das gesamte Gebäude unter Denkmalschutz steht.

Und auch der Kämmerer hat in allen Fraktionen dargelegt, dass es die Stadt mehr kosten würde, wenn man das Projekt ablehnt, weil nicht nur dieses Kulturzentrum zur Disposition steht, sondern weil man im Hintergrund immer mit bedenken muss, dass die gesamte Stadtentwicklung davon stark beeinflusst ist. Da gibt es beispielsweise den alten Friedhof, der zum Park umgestaltet werden soll, für den 3,5 Millionen Euro Fördermittel bereitliegen, um die Mitte von Marl weiterzuentwickeln.

Direkt neben Marschall 66 liegt das Grundstück des leider vor einigen Jahren abgerissenen Hallenbads aus den sechziger Jahren. Dort soll eine hochwertige Wohnbebauung entstehen, und die ersten Interessent*innen haben schon am Abend der ersten negativen Entscheidung gesagt: „Wir haben eigentlich nicht vor, unser neues Haus unter diesen Umständen zu entwickeln und jahrelang neben einer Ruine zu wohnen.“ Auch das sind Signale, die eigentlich klar machen müssten: Es schadet Marl, wenn man Marschall 66 weiterhin ablehnt.

FSL: Haben sich die anderen Geldgeber schon dazu geäußert oder dazu verhalten? Land oder Bund, die ja auch involviert sind?

GE: Der Bund hat sich noch nicht dazu geäußert. Mit dem Land ist man in Verhandlungen, ob es eine Aufstockung der Fördersumme geben kann, was dann natürlich auch an vielen anderen Orten im Land bei ähnlichen Förderzusagen greifen müsste. Es würde sicherlich keine allein auf Marl bezogene zusätzlich Förderung mit der Begründung von allgemeiner Teuerung und Steigerung der Baukosten geben.

FSL: Ihr habt euch dafür entschieden, mit der Situation öffentlich umzugehen. Es ist viel darüber berichtet worden; in der WAZ war etwas zu lesen, in der FAZ auch. Welche Solidarität habt ihr erfahren? Wie ist die Reaktion seitens der Kunst- und Kulturakteur*innen in NRW?

GE: Bis zur zweiten Abstimmung am 22. Dezember letzten Jahres habe ich in Abstimmung mit der Dezernentin Claudia Schwidrik-Grebe entschieden, dass wir damit nicht an die überregionale Öffentlichkeit wollen, weil dieses Thema ja letztlich ein für Marl ziemlich desaströses Bild abgibt und der Schlüssel zur Entscheidung im Rat lag und weiterhin liegt. Aber in dem Moment, in dem die Abstimmung auch beim zweiten Mal negativ verlaufen ist, haben wir den Fokus geändert und entschieden, dass wir jetzt an die überregionale Öffentlichkeit gehen müssen. Die Marler Zeitung hat alles getan, was sie konnte, um das Projekt nicht nur zu erklären, sondern auch dafür Stellung zu beziehen. Der erste wichtige Artikel stammte von Jens Dirksen in der WAZ, woraufhin es dann viele Unterstützer*innenbriefe gab. Die ersten zwei Briefe waren wegweisend: Einmal von den RuhrKunstMuseen, auf den Weg gebracht durch deren Sprecher*innen Regina Selter vom Museum Ostwall im Dortmunder U und Peter Gorschlüter vom Folkwang Museum Essen. Und der nächste Brief kam von Stephan Berg im Namen aller Direktorinnen und Direktoren der Kunstmuseen in Nordrhein-Westfalen. Da haben rund 40 Personen unterschrieben. Und seitdem gibt es eine Welle von Unterstützung aus der Kunstszene. Da seid ihr vom medienwerk.nrw in guter Gesellschaft mit der Arbeitsgemeinschaft Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen e.V., zu der rund 50 Museen in ganz Deutschland gehören. Oder die DEGEM, die Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik, die eine Petition gestartet hat, die nach zwei Tagen schon über 600 Künstlerinnen und Künstler unterschrieben haben.

»Und seitdem gibt es eine Welle von Unterstützung aus der Kunstszene.«


FSL: Und habt ihr auch seitens eures Publikums in der Stadt Unterstützung bekommen?

GE: Es hat unglaublich viele Leser*innenbriefe in der Marler Zeitung zu diesem Thema gegeben, für Marl sehr ungewöhnlich. Größtenteils positiv. Nicht nur, aber schon weitgehend. Und normalerweise sind bei einer Ratssitzung vielleicht drei oder fünf Leute da, die eine Frage stellen wollen und dann auch wieder gehen, aber jetzt bei den Ratssitzungen, wo es um Marschall 66 ging, waren es gut 50 Personen, die als Unterstützer*innen dabei waren. Am 28. Februar hat eine Solidaritätsveranstaltung in der Scharounschule stattgefunden. Die gesamte Marler Öffentlichkeit war dazu eingeladen, und es hat fast 50 Beiträge gegeben – von kurzen Redebeiträgen bis zu musikalischen Beiträgen – und drei Stunden gedauert. Ein großer Erfolg, um das Ganze noch einmal öffentlich aus der Bürgerschaft heraus zu stützen.

FSL: Jetzt seid ihr erst einmal bis auf weiteres in einer Zwischennutzung. Was sind eure weiteren Pläne hier in den temporären Räumlichkeiten?

GE: Die Zwischennutzung wird experimentell laufen. Wir wollen versuchen, immer wieder mit jungen Künstler*innen zu arbeiten, allerdings mit der Schwierigkeit, dass wir hier keine wertvollen Exponate zeigen können, weil der Einbruchschutz und damit der Versicherungsschutz das nicht zulässt. Die erste Ausstellung, mit der wir hier eröffnet haben, war eine experimentelle Skulpturen-Ausstellung mit Christian Odzuck, der sich mit 3D-Drucken beschäftigt hat. Die zweite Ausstellung war eine Wandmalerei-Ausstellung mit sechs Positionen aus Nordrhein-Westfalen. Aktuell bereiten wir unsere Barbara Hammer-Ausstellung vor, die am 5. März eröffnet. Im Herbst werden wir mit den Studierenden der Kunsthochschule für Medien Köln aus dem Seminar von Mischa Kuball weitermachen, das sehr international zusammengesetzt ist. Und es wird sicherlich eine Ausstellung mit Klangkunst geben. Also, es geht vielschichtig weiter. Das Programm hier macht trotz allem Spaß. Es ist nicht unbedingt ein Museumsprogramm, aber es ist hoffentlich vergleichbar mit dem Programm eines guten Kunstvereins oder einer Kunsthalle.

FSL: Lieber Georg, vielen Dank für das Gespräch. Dann drücken wir jetzt erstmal die Daumen, dass es gelingt, den Ratsbeschluss zu revidieren und einen neuen Beschluss herbeizuführen. Alles Gute für euch!

Georg Elben hat Kunstgeschichte, politische Wissenschaft und Germanistik in Bonn, Mailand und Karlsruhe studiert. Von 2003 bis 2011 war er Leiter des internationalen Videokunst-Festivals Videonale im Kunstmuseum Bonn und von 2006 bis 2010 Kurator der Videoproduktions­reihe Edition Bewegte Bilder der Sammlung Rheingold mit Ausstellungen im Kölner Museum Ludwig. Seit 2011 leitet er das Skulpturenmuseum in Marl, das unter ihm ein stärkeres Profil in der Medienkunst, besonders Video- und Klangkunst, erhalten hat.

Foto Slider (1): Skulpturenmuseum Glaskasten Marl im Rathaus, Ansicht Mischa Kuball, les fleurs du mal (flowers for Marl), Marl, 2014
Foto Slider (2): „Marschall 66″, Foto: Thorsten Arendt
Foto Slider (3): Ansicht temporärer Standort, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf
Foto Slider (4): Georg Elben und Fabian Saavedra-Lara im Gespräch